Gefühlsansteckung oder das Miteinanderfühlen

Wenn Sie sich zurzeit Sorgen um ihre Gesundheit und Ihre Sicherheit machen, dann sollten Sie das auch. Es ist menschlich und angebracht. Und es wäre eher überraschend, wenn Sie das gar nicht tun würden.

Worauf wir aber jetzt ganz besonders aufpassen müssen, ist, dass diese Sorgen nicht schwerer wiegen, als sie das tun müssen und wir uns von den Ängsten oder der Hilflosigkeit anderer anstecken lassen. Das Unbekannte stresst uns; Unsicherheit und Isolation machen uns verletzlich und damit aufnahmefähiger für etwas, das in der Psychologie Gefühlsansteckung* heisst. Gefühlsansteckung geschieht ungewollt, sie ist uns angeboren, wir können sie nicht kontrollieren.

Wenn wir uns von den Gefühlen anderer anstecken lassen - und das Risiko ist aktuell eher gross - dann müssen wir unterscheiden zwischen dein und mein. Ist es wirklich mein Gefühl oder das von anderen? Das ist der erste Schritt, der es uns ermöglicht, die Kontrolle wieder zu erlangen in Situationen, in denen wir uns ausgeliefert fühlen.

Der zweite Schritt: persönliche Auslöser identifizieren

Schützen Sie sich und finden Sie heraus, welches Ihre persönlichen Auslöser sind.

Sind es bestimmte Menschen, schaffen Sie Distanz.
Sind es soziale Plattformen, begrenzen Sie die Zeit.
Sind es bestimmte Links, Scheuklappen anziehen?
Sind es die Medien, seien Sie wählerisch. Nehmen Sie, was Sie brauchen und lassen Sie das Grübeln, vermeiden Sie Spekulationen und Gedanken an das Schlimmstmögliche. Unsere Angst kann auch heute noch nicht wahrsagen - selbst wenn sie das manchmal meint. (Emotionale Missverständnisse entstehen aus gutem Grund, darauf werde ich ein anderes Mal eingehen.)
Und denken Sie daran, manche Medien schaukeln sich gegenseitig hoch, sie sind gefangen im Sensationszyklus – also brechen Sie aus und befreien Sie sich! Halten Sie sich an die Fakten, die auch solche sind. Wir haben immer die Möglichkeit zu entscheiden, ob wir uns im Kreis drehen wollen oder nach vorne schreiten. Der Unterschied ist immer nur der erste Schritt - in eine andere Richtung.

Bewusste Ansteckung im Guten

Es gibt hingegen eine Art Gefühlsansteckung im Guten: unsere Fähigkeit zur Empathie. Im Gegensatz zur Gefühlsansteckung können wir Empathie bewusst lenken und einsetzen. Wir reagieren nicht einfach, wir agieren. Dies ermöglicht uns ein bewusstes Weitergeben von Dingen wie Hoffnung, Zuversicht, Verständnis, gegenseitige Unterstützung, Verbundenheit und Solidarität.
Sie sind es, die uns wirklich weiterbringen, uns alle.


Ein schönes Beispiel dazu ist dieses Gedicht, Spike Milligan zugeschrieben:

Smiling Is Infectious


Smiling is infectious,
you catch it like the flu,
When someone smiled at me today,
I started smiling too.

I passed around the corner
and someone saw my grin.
When he smiled I realized
I'd passed it on to him.

I thought about that smile,
then I realized its worth.
A single smile, just like mine
could travel round the earth.

So, if you feel a smile begin,
don't leave it undetected.
Let's start an epidemic quick,
and get the world infected!


Und zum Schluss noch dies:

Was Gefühlsansteckung in Bezug auf unsere Entscheidungsträger bedeutet, darüber werde ich demnächst schreiben.

 

*Das Phänomen der Gefühlsansteckung bezeichnet in der Psychologie den Umstand, dass allein die Wahrnehmung eines Emotionsausdruckes bei einem anderen Menschen ausreicht, um im Beobachter die gleiche Emotion auszulösen. So lassen sich schon Neugeborene vom Geschrei anderer Neugeborener anstecken, (…). Zu dem Phänomen der Gefühlsansteckung gehört auch die Empathie, die zumindest zum Teil angeboren zu sein scheint und teilweise aus einer kognitiven Komponente besteht. (Stangl, 2020).

Verwendete Literatur
Stangl, W. (2020). Stichwort: 'Gefühlsansteckung'. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.